Bei einer Reise nach China ist die Vorfreude gleich doppelt groß – man freut sich darauf endlich im Reich der Mitte zu sein und freut sich später, zumindest ebenso intensiv, darauf den Ausflug in die Welt der Chinesen überstanden zu haben. Die gigantischen Ausmaße des Landes und die erdrückende Masse an Menschen macht es praktisch unmöglich das ganze Land mit einer einzigen Reise abzudecken. Wir haben China 2 Monate unserer Reisezeit gewidmet und auf chinesischen Straße, Schienen und Flüssen insgesamt nahezu 10.000 Kilometer zurückgelegt. Dazu kamen noch 3 Wochen auf Taiwan, die einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der chinesischen Kultur geleistet haben. Trotz der relativ langen Aufenthaltsdauer mussten wir leider den fernen Westen des Landes auslassen. Insbesondere die Seidenstrasse um Ürümqui und Kashgar hätte uns interessiert, aber auch die gesamte Provinz Tibet bleibt für die nächste Reise offen. Um China in seiner Gesamtheit bereisen und einigermaßen begreifen zu können müsste man wohl zumindest ein halbes Jahr investieren.
Insgesamt haben wir auf unserer (zweigeteilten) Reise durchs Land etwa 25 Städte bereist, darunter 8 der 10 derzeit größten des Landes – jede von ihnen übertrifft mittlerweile für sich genommen die Einwohnerzahl Österreichs. Wir haben mehr als die Hälfte der chinesischen Provinzen durchreist und, da wir auf Flüge verzichtet haben, insbesondere auf den zahlreichen Busfahrten die Schönheit und Vielfalt der chinesischen Natur erfahren. Auch wenn das individuelle Reisen in China sicherlich antrengender ist als in so manch anderem Land – wir möchten keine unserer Erfahrungen missen.
Interessant an einer Reise nach China ist nicht zuletzt die Chance, nach einigen Jahren zurückzukehren und die Veränderungen mit eigenen Augen zu sehen. Vieles kann man heute vorhersagen – die weitere Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und Politik zu prophezeien ist aber ähnlich schwierig wie die Vorhersage der Lottozahlen – oder gar des zukünftigen Weltklimas (und die Wirtschafts- und Sozialwissenschafter scheinen glücklicherweise nicht ganz so „selbstbewusst“ und medienaffin zu sein wie sogenannte Klimaforscher). Wie beim Klima scheint es auch hinsichtlich der Entwicklung Chinas eine klare Mainstream-Meinung zu geben, die in etwa aussagt: China wird uns alle überrollen. Wir sind da etwas anderer Meinung.
In so vielerlei Hinsicht scheint uns der wachsende Wohlstand Chinas fragil zu sein. Er beruht im wesentlichen auf der fortbestehenden Ausbeutung der einfachen Arbeitskräfte sowie auf einer „ausgezeichneten Zusammenarbeit“ zwischen hunderten westlichen Unternehmen und der chinesischen Regierung. Diese Zusammenarbeit freilich sollte man ehrlicherweise als Korruption der einen bzw. Nötigung der anderen Seite titulieren. Sogenannte Joint-Ventures sind in China nichts anderes als der erzwungene Technologietransfer und die vollkommene Unterwerfung westlicher Unternehmen unter die chinesische Führung mit einem einzigen Ziel – weiterhin am derzeit wichtigsten Markt der Welt agieren zu dürfen und dabei möglichst noch den ein oder anderen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.
Insgesamt hat sich die wirtschaftliche Lage der Chinesen in beträchtlichem Ausmaß verbessert – unserem Eindruck nach trifft das aber nur bedingt auf die Lebensqualität der Menschen zu. Man steht permanent unter Stress und der zwischenmenschliche Umgang miteinander ist mehr als rauh. In keinem Land haben wir bisher eine ähnlich aggressive Stimmung unter den Menschen vorgefunden – sozialen Zusammenhalt, insbesondere in den Städten, scheint es nicht zu geben. Besonders in Erinnerung geblieben ist uns ein Motorradunfall in Leshan. Eine junge Frau liegt mit blutiger Kopfverletzung (Helme gibt’s in China nicht) verletzt auf der Straße – rundherum im Abstand von einem halben Meter knapp 20 Personen. Keiner der Anwesenden hat sich auch nur zur Verletzten hingekniet – sie alle aber sind stehengeblieben um sie anzustarren und kein Detail zu verpassen.
Obwohl wir darauf von zahlreichen gleichlautenden Berichten anderer Reisender durchaus vorbereitet waren – wir waren letztlich doch überrascht von der oft völligen Abwesenheit jeglicher Empathie. Woher aber kommt diese Rücksichtslosigkeit und der scheinbar grenzenlose Egoismus plötzlich – scheint doch beides von der chinesischen Kultur vergangener Epochen so unfassbar weit entfernt zu sein. Unser Besuch in Taiwan hat ja klar gezeigt wie chinesische Kultur auch aussehen kann – was aber ist in Festland-China so derart anders gelaufen? Denn Arbeitsbelastung und Druck sind in Taiwan bestimmt nicht geringer, auch dort sind 6 Wochentage zu 12 Arbeitsstunden nichts ungewöhnliches.
Ein Teil der Entwicklung lässt sich möglicherweise auf die Kulturrevolution zurückführen. Immerhin konnte zu dieser Zeit schon die Kenntniss einer Fremdsprache oder auch nur ein besonders gepflegtes Äusseres als Zeichen der Zugehörigkeit zur bürgerlichen Schicht gewertet und damit zum Todesurteil werden. Ein bäuerlicher bis proletarischer Habitus wurde damit schlichtweg zur Staatsräson. Es ist deswegen für uns nicht auszuschließen, dass ein gewisser Teil dieser „Umschulungsmaßnahmen“ bis heute ihre Wirkung zeigt. Völlig unerklärlich für uns ist jedenfalls, warum gerade jener Verbrecher, dessen Ideologie zigmillionen Menschen das Leben gekostet und die chinesische Kultur am Festland nahezu ausgelöscht hat, noch heute vor den Toren der Verbotenen Stadt hängen kann. Ein nicht unermesslicher Anteil der chinesischen Bevölkerung sieht das freilich bis heute völlig anders.
Die chinesische Politik und ein Teil der Bevölkerung sprechen weiterhin von einer Politik des „Sozialismus chinesischer Prägung“. Das die aktuelle chinesische Politik allerdings mit Sozialismus und Kommunismus kaum etwas gemein hat muss man dem westlichen Beobachter nicht erklären. Die bedingungslos auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik in Kombination mit einer uneingeschränkten Steuerungs- und Kontrollwut des Staatsapparats entsprechen unserem Verständnis nach eher dem Modell des Faschismus. Auch ein Blick ins chinesische Staatsfernsehen CCTV (mit insgesamt 45 Sendern) stärkt diese Ansicht – jede Nachrichtensendung wird zur reinen Propaganaveranstaltung. Da werden heimische Universitäten, die chinesische Politik und natürlich hin und wieder der ein oder andere Arbeiter in höchsten Tönen gelobt. Danach kommen Berichte über die Krise in Europa und Schwierigkeiten in den USA. Auch wenn man kein Wort versteht – die Mitteilung ist unmissverständlich. Es wird spannend zu beobachten, ob die Partei es schafft, die schrittweise Öffnungs- und Lockerungspolitik (die derzeit z.T. erkennbar ist) ohne ernstzunehmenden Kontrollverlust durchzusetzen.
Obwohl das alltägliche Reisen mit den Chinesen oft nicht einfach war und wir uns auch mittels diesen Mediums des öfteren darüber ausgelassen haben – die Zeit in China war eine tolle Erfahrung. Wir können nur jedem empfehlen sich selbst die Zeit zu nehmen und diesem faszinierende Land selbt einen Schritt näher zu kommen – man wird danach jede Zeitungsmeldung und jedes Made in China Label mit persönlichen Erfahrungen verbinden können. Für uns bleiben einige Fragen offen und noch mehr Orte unbesucht – ein erneuter Anlauf auf das Reich der Mitte zu einem späteren Zeitpunkt ist damit nicht unwahrscheinlich. Jetzt geht´s aber erstmal weiter in die „Lao People`s Democratic Republic“.
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